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Das Lamm und der Wolf

Ein Lämmchen löschte an einem Bache seinen Durst. Fern von ihm, aber nahe der Quelle, tat ein Wolf das Gleiche. Kaum erblickte er das Lämmchen, da schrie er: “Warum trübst du mir das Wasser, das ich trinken will?”

“Wie soll das möglich sein?”, antwortete das Lämmchen schüchtern. “Ich stehe hier unten am Wasser, und du so weit oben. Das Wasser fließt mir doch zu. Und glaube mir, ich habe nicht die Absicht, dir etwas Böses zu tun!”

“Ei, sieh doch!”, rief der Wolf. “Du machst es gerade, wie dein Vater vor sechs Monaten. Lämmchen, du warst doch dabei und bist nur glücklich entkommen, als ich deinem Vater das Fell für seine ungehobelten Schmähungen abgezogen habe.”

“Ach, lieber Herr”, flehte das zitternde Lämmchen, “ich bin ja erst vier Wochen alt und kannte meinen Vater gar nicht. Er ist ja schon so lange tot.”

“Du unverschämtes Ding!”, knurrte der Wolf mit vorgespielter Wut. “Tot oder nicht tot, weiß ich doch, dass euer ganzes Geschlecht mich hasst. Und dafür muss ich mich rächen.”

Kaum hatte er das gesagt, stürzte sich der Wolf auch schon auf das Lämmchen, zerriss es und fraß es auf.

 

Das Rebhuhn und die Hühner

Ein Hühnerfreund kaufte ein Rebhuhn. Es sollte im Hof mit dem anderen Geflügel laufen, doch die Hühner pickten das Rebhuhn stets vom Fressen fort. Das Rebhuhn zog sich tief bedrückt in einen Winkel zurück, denn es fühlte sich fremd und allein gelassen.

Dann aber sah es, dass sich die Hühner auch untereinander pickten und scheuchten. Da sprach das Rebhuhn zu sich selbst: “Wenn diese Tiere ewig untereinander zanken und streiten, dann werde ich es wohl ertragen, wenn es ab und an auch mich trifft.”

Das Pferd und der Esel

Ein Bauer hatte sein Pferd und seinen Esel gleichmäßig beladen und trieb sie zu Markte. Als sie schon eine gute Strecke gegangen waren, fühlte der Esel seine Kräfte schwinden. “Ach”, bat er das Pferd kläglich, “du bist viel größer und stärker als ich. Und doch musst du nicht schwerer tragen als ich. Nimm einen Teil meiner Last, sonst werde ich bald am Boden liegen.”

Hartherzig antwortete das Pferd: “Ich habe selbst genug an meiner Last zu tragen.”

Keuchend schleppte sich der Esel weiter, bis er erschöpft zusammenbrach. Der Bauer drosch noch auf den Esel ein, aber er war schon tot. Da blieb nichts weiter übrig, als die ganze Last des Esels auf das Pferd zu packen. Auch wollte der Bauer noch etwas von dem Esel retten, zog ihm das Fell ab, und legte es dem Pferd oben auf.

Das Pferd bereute nun seine Hartherzigkeit und klagte: “Ach, wie leicht hätte ich dem Esel ein Stück Last abnehmen können. Wäre er noch lebendig, müsste ich nicht gleich alles tragen.”

 

Der Adler und die Dohle

Ein Adler stürzte sich hoch aus der Luft auf ein Lamm. Er packte es mit seinen Krallen und trug es ohne Mühe davon.

Die Dohle hatte es mit angesehen. Sie glaubte ebenso stark wie der Adler zu sein, und darum flog sie auf einen Widder zu. Die Dohle bemühte sich redlich den Widder fortzubringen, doch sie verwickelte sich nur mit den Füßen in der Wolle.

Als der Hirte die Dohle so zappeln sah, schnappte er sie schnell mit der Hand. Dann stutzte er der Dohle die Flügel und nahm sie den Kindern als Spielzeug mit.

“Ei! Ei!”, riefen die Knaben sehr erfreut, “wie nennt man diesen Vogel?” “Vor einer Stunde”, sagte der Vater, “hielt sich dieser Vogel noch für einen Adler. Er musste aber bald einsehen, dass er nur eine kecke Dohle ist.”

Der Adler und der Fuchs

Der Adler hatte sein Nest auf einer hohen Eiche und der Fuchs seine Wohnhöhle genau darunter. Diese Nachbarschaft hätte zu einer langen und guten Freundschaft führen können. Aber ach, wie wenig aufrichtig sie war!

Eines Abend war der Fuchs gerade auf Jagd. Der Adler hatte an diesem Tag noch keine Beute gemacht und musste mit seinen Jungen fasten. Da glaubte der Adler aus Hunger, dass er keine Rücksicht auf die Freundschaft nehmen müsse. Also stürzte er sich auf die jungen Füchslein, die vor der Wohnhöhle spielten. Der Adler trug sie in sein Nest und verschlang sie zusammen mit seinen Jungen.

Der Fuchs kam nach einiger Zeit zurück und vermisste seine Jungen. Schon bald ahnte er, was geschehen war. Ergrimmt und von Schmerz getrieben stieß der Fuchs laute Schmähungen gegen den Adler aus, der nun sein heftigster Feind geworden war. Und weil der Fuchs keine Mittel sah, sich zu rächen, flehte er den Zorn der Götter auf den Adler herab.

Mit kalter Miene schaute der Adler auf den Fuchs herunter, doch die Strafe sollte ihn bald ereilen. In der Nachbarschaft war nämlich ein Fest, und die Landleute opferten ihren Göttern. Als die Eingeweide angezündet wurden, flog der Adler hinzu, raubte nach seiner Gewohnheit ein Stück und trug es in sein Nest. Der Adler hatte aber nicht gesehen, dass noch glimmende Asche daran war. So fing das Nest schnell Feuer, weil auch noch ein heftiger Wind wehte. Und schon kurz darauf war das Nest von den Flammen vollkommen verzehrt. Die halbgebratenen Adlerjungen fielen herab, und der Fuchs verzehrte sie vor den Augen des Adlers.

Der Esel und das Pferd

Ein Esel bekam nach einer großen Anstrengung nicht einmal genug Streu, um seinen Hunger zu stillen. Ach, wie sehr wünschte er sich, mit einem prächtigen Pferd tauschen zu können. Denn der Esel hatte gesehen, dass dieses Pferd immer gut und im Überfluss gefüttert wurde.

Doch nach einigen Monaten erblickte der Esel dasselbe Pferd ganz lahm und abgezehrt an einem Karren. “Ist dies Zauberei?”, fragte der Esel. “Beinahe”, antwortete das Pferd traurig. “Eine Kugel traf mich, und mein Herr stürzte mit mir zu Boden. Zum Dank hat er mich für ein Spottgeld verkauft. Lahm und kraftlos, wie ich jetzt bin, wirst du mich sicher nicht mehr beneiden und mit mir tauschen wollen.”

Der Frosch, die Ratte und die Weihe

Ein Frosch stritt mit einer Ratte um einen Sumpf. Der Frosch behauptete, dass der Sumpf schon immer ihm alleine gehört habe. Die Ratte wollte davon nichts wissen und forderte, dass der Frosch den Sumpf abtreten müsse. So gerieten sie hart aneinander.

Sie hätten aber besser daran getan, wenn sie sich in Frieden geeinigt hätten. Denn in der Hitze des Streites hatten sie nicht auf die Weihe geachtet, die in der Ferne lauerte. Der Greif flog tief über das Schilf und unbemerkt heran, fiel plötzlich über die beiden Kämpfer her und zerriss sie beide.

Der Fuchs und der Bock

Fuchs und Bock gingen an einem heißen Sommertag miteinander über die Felder, und der Durst quälte sie. Endlich kamen sie an einen Brunnen, doch es war kein Gefäß zum Wasserschöpfen da. Ohne zu zögern sprangen beide in den Brunnen und stillten ihren Durst. Nun erst begann der Bock umherzuschauen, wie er wieder herauskommen könnte. Der Fuchs beruhigte ihn und rief: “Nur Mut, mein Freund! Ich weiß einen Rat, der uns beide retten kann. Stelle dich auf deine Hinterbeine, stemme die Vorderbeine gegen die Wand und recke den Kopf weit in die Höhe. So kann ich leicht von deinem Rücken hinausspringen und auch dich retten!”

Der Bock tat alles ganz willig. Mit einem Sprung war der Fuchs gerettet und verspottete nun den Bock voll Schadenfreude. Dieser aber beschuldigte den Fuchs mit Recht der Treulosigkeit.

Dann nahm der Fuchs aber Abschied und sagte: “Ich sehe keinen Ausweg zu deiner Rettung, mein Freund! Höre aber zum Dank meine Ansicht: Hättest du so viel Verstand gehabt wie Haare im Bart, so wärest du nie in diesen Brunnen gestiegen. Du hättest vorher bedenken sollen, wie du wieder herauskommst!”

Der Fuchs und der Storch

Ein Fuchs hatte einen Storch zu Gast, und setzte ihm die köstlichsten Dinge vor. Die Speisen lagen aber nur auf ganz flachen Schüsseln, aus denen der Storch mit seinem langen Schnabel nichts fressen konnte. Gierig fraß der Fuchs alles alleine, obgleich er den Storch unaufhörlich bat, er solle es sich schmecken lassen.

Der Storch fand sich betrogen, blieb aber heiter. Er lobte die Bewirtung über alle Maßen und bat seinen Freund, am anderen Tag mit ihm zu essen. Der Fuchs mochte wohl ahnen, dass der Storch sich rächen wollte, und wies die Einladung ab. Der Storch aber ließ nicht nach, bis der Fuchs dann endlich einwilligte.

Als er nun am anderen Tag zum Storch kam, fand er alle möglichen Leckerbissen aufgetischt. Sie waren aber in langhalsigen Geschirren abgefüllt. “Folge meinem Beispiel”, rief ihm der Storch zu, “und fühle dich so, als wenn du zu Hause wärest.” Der Storch schlürfte nun mit seinem Schnabel alles alleine auf, während der Fuchs zu seinem größten Ärger nur etwas riechen und vom äußeren Geschirr ablecken konnte.

Hungrig stand er vom Tisch auf und gestand, dass der Storch ihm eine ordentliche Lektion für seinen Hochmut beigebracht habe.

Der Hahn und der Diamant

Ein hungriger Hahn scharrte auf einem Misthaufen nach Körnern und fand einen Diamanten. Verärgert stieß er ihn beiseite und rief: “Was nützt einem Hungrigen solch ein kostbarer Stein. Sein Besitz macht wohl reich, aber nicht satt. Wie gerne würde ich diesen Schatz für einige Gerstenkörner hergeben.”

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